Sie wurden aus der Nachbarschaft abgeholt und ermordet

Stetten-Schülerinnen erinnern an von den Nationalsozialisten ermordete Stetten-Schülerin

"Ihr betet für mich und ich bete für Euch!" Mit diesem Satz verabschiedete sich 1943 die erst fünfjährige Gabi von ihren Pflegeeltern, als sie auf Befehl der Gestapo abgeholt wurde. Das kleine Mädchen war katholisch getauft, galt für die Nationalsozialisten aber als jüdisch, weil ihre Mutter im jüdischen Glauben aufgewachsen war. Gabi wurde in ein Sammellager gebracht und kurze Zeit darauf in Ausschwitz ermordet. Die Mutter von Gabi, Charlotte Eckart, wohnte in der Gesundbrunnenstraße in Augsburg, ganz in der Nähe des heutigen Stetten-Instituts. Sie wurde 1942 in der NS-Tötungsanstalt Bernburg an der Saale ermordet.

Um an das Schicksal von Gabi und ihrer Mutter und weiterer Opfer der Nationalsozialisten zu erinnern, wurde am Haus Gesundbrunnenstraße 3 ein Erinnerungsband enthüllt, das den drei ehemaligen Anwohnern August Einstein, Anna Schwarz und Charlotte Eckart gewidmet ist. Der Allgäuer Filmemacher und Autor Leo Hiemer enthüllte das Gedenkband, eine evangelische Pfarrerin, ein katholischer Pfarrer und ein Mitglied der jüdischen Gemeinde sprachen Gebete.

Vor der feierlichen Enthüllung auf dem engen Bürgersteig vor dem Haus hatten sich rund 150 Menschen in dem kleinen Park am Klinkertorplatz versammelt. Angela Bachmair von der Erinnerungswerkstatt Augsburg eröffnete die Veranstaltung, Schülerinnen des Stetten-Instituts und der Agnes-Bernauer-Realschule lasen Texte über die jüdischen Bewohner des Hauses Gesundbrunnenstraße 32, die entweder aus Angst vor der Verfolgung Selbstmord begingen oder in Konzentrationslagern starben. "Es ist so grauenhaft, dass die Faschisten Menschenleben für wertlos erklärten und Juden und jüdischstämmige Menschen massenhaft ermordeten. Und es passierte überall in Deutschland, dass Juden, Sozialdemokraten oder Homosexuelle abgeholt wurden - auch hier in unserer Nachbarschaft", sagte eine Teilnehmerin an der Gedenkfeier, zu der auch Nachkommen von Verwandten der Opfer gekommen waren.

Nach der Enthüllung zog ein großer Zug von Menschen in den Barbarasaal im Stetten-Institut, wo der Autor Leo Hiemer aus seinem Buch "Gabi - geboren im Allgäu, ermordet in Ausschwitz" vorlas. Er hatte jahrelang recherchiert und eine große Menge an Dokumenten und Fotografien aus dem Leben der Familie Schwarz/Eckart zusammengestellt. Das Oberstufenorchester umrahmte die Lesung musikalisch.

Für die Stetten-Schülerinnen war es nicht das erste Mal, dass sie von den Morden der Nazizeit hören. Aber es ist das erste Mal, dass sie hören, dass es eine von ihnen war. "Es ist ein sehr beklemmendes Gefühl, zu wissen, die Mutter von Gabi war eine von uns, eine Stettenschülerin. Das rückt einem dann doch sehr nahe", sagt Elena aus der Q11, die während der Veranstaltung in der Gesundbrunnenstraße und im Barbarasaal jeweils die Biographie von Charlotte Eckart vorträgt. Auch ihre Mitschülerin Henriette, ebenfalls aus der Q11, sagt, dass sie und ihre Mitschülerinnen sehr betroffen waren. "An dem Haus in der Gesundbrunnenstraße gehen viele von uns oft vorbei - jetzt mit dem Wissen um den Lebenslauf seiner jüdischen Bewohner bekommt das auch eine ganz neue, traurige Bedeutung". 

Die Schulleiterin des Stetten-Instituts Barbara Kummer sagte, dass es ihr wichtig sei, die Erinnerung an Zeit des Nationalsozialismus wachzuhalten. "Die schrecklichen Geschehnisse des Holocaust sind eine Mahnung an alle Nachkommen. Wir müssen uns erinnern, wohin Ausgrenzung, Fremdenhass und Nationalismus führen können und dieses Wissen auch an die Jüngeren weitergeben. Ich freue mich, dass unsere Schülerinnen sich heute bei der Gedenkfeier so aktiv eingebracht haben".